Fernstraßen:Gute Fahrt wünschen Allianz und Axa

Der Bund will die Autobahnen künftig von Privatkonzernen bauen und unterhalten lassen. Dafür müsste man einiges ändern - zum Beispiel das Grundgesetz.

Von Heribert Prantl

In Deutschland gibt es 12 949 Kilometer Autobahn. Das ist eine Strecke, die man mit dem Schiff von den Cocos-Inseln im Indischen Ozean bis nach Emden an der Nordsee zurücklegt; ziemlich gigantisch also. An diesem Donnerstag wird diese gigantische Autobahn Stück für Stück geschreddert: Jedes Mal, wenn in Berlin der Chef eines Bundeslandes zur Ministerpräsidentenkonferenz vorfährt, verschwindet ein Stück dieser Autobahn im dort aufgestellten Zerkleinerungsgerät - nur symbolisch natürlich. Aber die Symbolik hat einen ernsten Hintergrund: Die Länder beraten mit dem Bund über eine Grundgesetzänderung, die die Privatisierung der Autobahnen möglich machen würde. Dagegen richtet sich der schreddernde Protest einer Aktionsgemeinschaft, die sich "Gemeingut in Bürgerhand" nennt.

Die Befürworter einer Privatisierung erhoffen sich von einer "Einbindung des Privatkapitals" mehr Geld für den Straßenbau, erwarten von einer Privatisierung generell "mehr Effizienz"; auf diese Weise sollen die Schwachstellen im Bundesverkehrswegeplan ausgemerzt werden. Die Kritiker halten dagegen, dass privater Straßenbau zumal jetzt, da der Staat billigst Geld aufnehmen kann, viel teurer sei; es handele sich bei dem gigantischen Privatisierungsvorhaben letztlich um ein Geschenk für die kriselnden Lebensversicherungen. Viele Policen zur Alterssicherung garantieren den Kunden jährliche Zinsgewinne von drei bis vier Prozent; die lassen sich derzeit aber kaum verdienen. Die Bundesregierung hat die Sorge, dass die Versicherungen ins Taumeln geraten könnten und mit Staatsgeld gerettet werden müssten. Dann schon lieber, so heißt es, eine Privatisierung der Autobahnen - und die dafür notwendige Grundgesetzänderung wird den Konzernen samt Schleife überreicht.

Was heißt das für den Autofahrer, wenn Allianz oder Axa Autobahnen bauen oder sanieren, wenn große private Konzerne in Asphalt investieren? Das heißt "nutzerorientierte Finanzierung", erklärt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Ins Verständliche übersetzt: Maut! Nicht nur die Lkw-Maut fließt dann in die Tasche der Investoren, sondern auch eine Pkw-Maut könnte auf einmal Wirklichkeit werden: Investoren wollen ja Geld sehen. Und das Beispiel Frankreich verspricht ihnen reichen Segen: Seitdem dort ein großer Teil des Streckennetzes privatisiert wurde, winken den Konzessionären üppige Renditen (siehe Artikel rechts)

Heuernte an der Reichsautobahn München-Salzburg, 1937

So fing es an: Heuernte an der Autobahn München-Salzburg in den 1930er-Jahren. Der heutige Massenverkehr dagegen könnte die Grundlage für ein einträgliches Geschäft bilden.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

. Von alledem steht wenig oder gar nichts in den Gutachten, die "Reformmodelle" abhandeln "für die Verwaltungsorganisation" der Autobahnen sowie "für die Bereitstellung und Finanzierung bei den Bundesfernstraßen". In all diesen Gutachten geht es um die Zukunft des Artikels 90 Grundgesetz. Der steht im sperrigen Teil des Grundgesetzes, dort, wo die Organisation und Verwaltung des Staates unübersichtlich geregelt sind. Die Formulierung dieses Artikels 90 ist nun 67 Jahre alt; es heißt dort, dass der Bund der Eigentümer der "bisherigen Reichsautobahnen" ist und dass die Länder "die Bundesautobahnen im Auftrag des Bundes" verwalten. Man nennt das "Bundesauftragsverwaltung": Der Bund finanziert das Autobahnnetz; für Planung, Bau und Erhaltung sind die Länder zuständig. Das ist nicht optimal; wenn der eine zahlen muss und der andere das Geld ausgeben darf, gibt es immer Schwierigkeiten; bei der parlamentarischen Kontrolle (Landtage? Oder der Bundestag?) gibt es auch Probleme. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte der Süddeutschen Zeitung, dass die Länder dem Bund seit Langem Vorschläge zur besseren Gesamtorganisation machten. "Vergeblich", sagt er, "der Bund drängt auf Privatisierung". Zu diesem Zweck will die Bundesregierung eine Bundesautobahngesellschaft gründen.

Der neue Artikel 90 Grundgesetz soll wie folgt lauten: "Die Bundesautobahnen werden in Bundesverwaltung geführt. Aufgaben der Planung, des Baus, des Betriebs, der Erhaltung, der vermögensmäßigen Verwaltung und der Finanzierung der Bundesautobahnen können durch Bundesgesetz einer Gesellschaft in privat-rechtlicher Form übertragen werden." Auf der Basis dieser Formulierung lässt sich dann viel mehr Privatisierung machen als bisher. Gegenwärtig gibt es zwar auch schon Autobahnabschnitte, die privat finanziert werden - mit sogenannte ÖPP-Modellen. Eine öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) ist eine vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen der Privatwirtschaft. Sehr viel mehr Privatisierung als jetzt schon geht aber auf der Basis der bisherigen Grundgesetzformulierung nicht. Nach dem geplanten neuen Artikel 90 Grundgesetz gäbe es keine Schranken mehr. Zum einen könnten noch viel mehr ÖPP-Modelle aufgelegt werden als bisher; zum anderen könnten Private direkt in die neu zu gründende Bundesautobahngesellschaft einsteigen, sie womöglich auch komplett übernehmen.

Mit dem jetzt diskutierten Vorschlag wäre ein völliger Rückzug des Staates möglich

Was hat der Bund davon? Er erspart sich viel Geld; und er umgeht die Schuldenbremse. Der Vorteil für die Länder? Keiner. Sie verlieren den Einfluss auf den lukrativsten Teil des deutschen Straßennetzes. Wer will die Privatisierung? Bundesfinanzminister Schäuble will sie, Bundesverkehrsminister Dobrindt will sie, Wirtschaftsminister Gabriel will sie auch. Kein einziger Verkehrsminister eines Bundeslandes will sie; sie alle beknien ihre Regierungschefs, dem Werben und Drängen des Bundes zu widerstehen. Aber Schäuble lockt mit viel Geld: mit einem Milliarden-Entgegenkommen an die Länder beim Finanzausgleich.

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SZ-Grafik; Quelle: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

Die neue Grundgesetzformulierung würde Raum bieten für jedwede Privatisierung: Für eine funktionale Privatisierung, also für alle Formen der Beteiligung Privater an Bau und Unterhaltung von Autobahnen. Sie ermöglicht aber auch die materielle Privatisierung, also den teilweisen bis völligen staatlichen Rückzug. In einem Gutachten, beauftragt vom ADAC, das der SZ vorliegt, werden daher Privatisierungsbremsen vorgeschlagen, die ins Grundgesetz geschrieben werden sollen; zum Beispiel: Aufträge und Konzessionen, deren Laufzeit oder Wert bestimmte Schwellen überschreiten, sollen nur mit Zustimmung des Bundestags an Private vergeben werden dürfen.

Die Pläne zur Privatisierung der Autobahnen fallen in eine Zeit, in der sich der Trend der Privatisierungen bei der kommunalen Daseinsvorsorge schon wieder umgekehrt hat. Vor 25 Jahren hatten viele Kommunen aus Geldmangel Trinkwasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung sowie den Personennahverkehr an Private verkauft. Die Befürworter behaupteten, dass der Markt fast alles billiger und besser machen könne als der Staat. Aber: Die Erfahrungen waren überwiegend schlecht. Daher gibt es heute eine umfassende Re-Kommunalisierung der Daseinsvorsorge. Die Privatisierung der Bundesautobahnen geht den anderen Weg.

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